Wenn die Alpen bröckeln (on-going)
Die Alpen erwärmen sich doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Gletscher schmelzen, und auch der Permafrost taut. Er wirkt wie Kitt, der Gipfelregionen zusammenhält. Schmilzt er, werden ganze Berge instabil. Am 28. Mai 2025 zeigt sich die Gefahr dramatisch: Ein Berg- und Gletschersturz verschüttet das Schweizer Dorf Blatten zu 90 Prozent. Es ist eine der schwersten Naturkatastrophen der Schweiz. Nur ein Tal weiter droht Kandersteg das gleiche Schicksal. Oberhalb des Dorfs rutschen am «Spitzen Stein» über 20 Millionen Kubikmeter Gestein langsam talwärts. Seit 2018 überwachen Experten den Berg rund um die Uhr, um die Bewohner rechtzeitig warnen zu können.
Um solche Katastrophen besser vorhersagen zu können, forscht die Technische Universität München (TUM). Im Labor simulieren Geologen, ab wann tauende Permafrost Gesteinsschichten ihre stabilisierende Wirkung auf das Gebirge verlieren. Auf der Zugspitze wird der Permafrost jeden Monat gemessen.
Das Ergebnis ist eindeutig: In zehn bis fünfzehn Jahren wird er verschwunden sein.
Oberhalb von Blatten liegt die 500 Meter hohe Felswand des Nesthorns, sie liegt in der Zone des Permafrosts.
Aufgrund der Klimaerwärmung
wurde das Gestein instabil, die herausgebrochenen
Felsen belasteten den Gletscher bis dieser unter dem zunehmenden Druck kollabierte.Messungen der Schermaschine untersuchen die Stabilität der Eisschicht zwischen gefrorenen Gesteinsproben.
Dabei wird ermittelt, bei welcher Temperatur und Zugkraft die Eisschicht bricht. Die Untersuchung erfolgt bei verschiedenen Temperaturen, um die Haftungseigenschaften des Eises zu bewerten.Die Forscher der TUM legen die Elektroden für die monatliche Messung im Kammstollen auf der Zugspitze aus.Die GEOTEST AG platziert Messspiegel und GPS-Messstationen auf der Rutschung am Spitzen Stein. So kann
die Bewegungsrate der Rutschung ermittelt und die entsprechende Gefahrenstufe ausgerufen werden.Heinz Stolle lebt seit 1942 in seinem Elternhaus in Kandersteg. Das Haus liegt in dem Gefahrenbereich der
Rutschung des Spitzen Stein. Anfangs nahm er die Warnung vor einem Bergsturz nicht allzu ernst und hofft, dass der
Berg nicht auf einmal kollabieren wird.Mit Hilfe einer kontinuierlichen GPS-, Tachymeter-, Radar- und Kameramessung und ebenso mehreren Wetterstationen
können größere Ereignisse vorhergesagt und die Bevölkerung von Kandersteg gewarnt werden.Einheimische beobachten die Abbrüche des Birchgletschers von der gegenüberliegenden Talseite aus.Unter dem Druck der Felsmassen rutscht am 28. Mai ein grosser Teil des Birchgletschers ab, es stürzen etwa 10 Millionen Kubikmeter Fels- und Eismasse in das Tal.Raphaël Mayoraz, Chef Dienstelle Naturgefahren, beantwortet fragen der Journalist:innen nach der Medienkonferenz am 28.05.2025.Die Schutt- und Eismassen bedecken den Talboden des Lötschentals auf einer Länge von etwa 2,5 Kilometern, auf einer Breite bis 200 Meter und ist bis zu mehrere Dutzend Meter mächtig, stellenweise
100 Meter. Die Schutt- und Eismassen verschütten 130 Häuser wie auch die Kirche, insgesamt etwa 90 Prozent von Blatten.Zarick Berger verliert bei der Katastrophe sein gesamtes Hab und Gut. Bis er
ein neues Zuhause findet, kann er in der Ferienwohnung von Freunden leben. «Diese Welt die da existierte, die kann nicht mehr aufgebaut werden, die gibt’s nicht mehr.»Das Schneeferner Haus (2656 m ü NHN) auf der Zugspitze ist eine Umweltforschungsstation auf der
11 Forschungseinrichtungen permanente Studien betreiben. Der Eingang zum Kammstollen befindet sich
in diesem Haus.Die Eisschicht über den Wänden des Kammstollen kommt von Tauwasser. Denn der Permafrost schmilzt, und
das seit Mitte der 1980er-Jahre. Schon in zehn bis 15 Jahren ist auf der Höhe des Kammstollen der Permafrost geschmolzen.
In 40 bis 50 Jahren wird der Permafrost der Zugspitze komplett verschwunden sein.Der Kammstollen wurde 1938 als Fußgängerstollen zwischen der alten Tiroler Zugspitzbahn und dem
ehemaligen Hotel Schneefernerhaus eröffnet. Der Tunnel führt quer durch den Zugspitz-Südwestgrad.Veröffentlicht in der NZZ am 21.07.2025.